Da tauchen aus meiner Vergangenheit Menschen auf, die in ihrem Leben etwas Sinnvolles tun:
- Entwicklungshilfe in Simbabwe
- Sanitätsdienst in Afghanisatn
- Sozialdienst im Altersheim
Und ich? Was tue ich? Dieses ganze Business-Getue nervt mich jeden Tag mehr. Und immer öfter träume ich davon, was anderes zu tun. Einer meiner großen Träume war: Kinderdorfmutter. Dafür bin ich langsam zu alt - vielleicht Kinderdorfoma? Nein, das ist es nicht. Aber sobald der Zwerg erwachsen ist und nicht mehr braucht - spätestens dann - suche ich mir etwas Neues, etwas Sinnvolles. Bis dahin muss es reichen, für Freund da zu sein und sie immer wieder zu bekochen.
Siouxsie - 3. Nov, 23:41
Es war ein Tag wie jeder andere. Ich war gestresst - viel zu tun - mein Sohn wollte spielen. Ich habe ihn vertröstet, in sein Zimmer geschickt und gesagt er solle allein spielen. Nur ein bisschen. Und dann mich vor den Fernseher gesetzt zum Chill-Out. Doch das, was im Fernsehen war, war nicht zum chillen: Sterbebegleitung. Ein Kinderhospiz.
Und sofort wollte ich nur noch eines: bei meinem Zwerg sein, mit ihm spielen, mit ihm lachen, einfach Zeit mit ihm verbringen.
Nieman weiss, wieviel Zeit er hat. Niemand weiss, wieviel Zeit ein Kind hat. Aber die Zeit, die möglich ist verbringe ich mit ihm. Denn nur das zählt.
Siouxsie - 3. Nov, 23:34
... beim Kontrollpunkt 42 Strich 7. Bisher keine Vorkommnisse." Wie immer erschrickt sie als sie bemerkt, dass ihr am Bildschirm ein Gesicht entgegengrinst. Daran werde ich mich wohl noch weniger gewöhnen als an die Zigaretten denkt sie. Doch noch unangenehmer ist ihr der Gedanke, dass ihr Gegenüber - also die Polizeichefin - sie auch sehen kann. Da heisst es freundliche Nasenlöcher machen oder - ihre bevorzugte Taktik - sich in das grelle Licht der Lampe stellen, denn dann funktioniert die Bildübertragung nicht. "Ich muss sie ja nicht darauf hinweisen, Posten 311, dass heute besondere Wachsamkeit geboten ist - oder?" knurrt die Polizeichefin sie an. "Gar keine Frage, Chef" knurrt sie zurück und schon ist die Konversation beendet.
Diese Gespräche mit den Vorgesetzten - und besonders mit der Polizeichefin an einem Tag wie heute - sind das unangenehmste an dem Job. Ansonsten ist nicht viel los. Seitdem die Hauszugänge direkt in die U-Bahn-Stationen verlegt wurden ist sowieso keiner mehr auf der Strasse unterwegs. Die Handvoll Taxifahrerinnen, die noch eine Lizenz haben, bringen ihre Fahrgäste auch nur noch bis zur U-Bahn-Station. Dort wird auf der Fingerabdruck-Konsole die Zutrittsberechtigung überprüft und der Lift bringt die Menschen direkt in ihre Wohnungen, hinter die dreimal verschlossenen Türen mit Alarmanlage und künstlichem Hundegebell. Wie sie dieses Leben hasst, in dem man sich in seiner eigenen Wohnung verstecken muss. Daran sind nur die Morde schuld und diejenigen, die daraus Profit schlagen - wie die Polizeichefin.
Ja, die Polizeichefin verdankt ihren Aufstieg auch diesen Morden. Hätten die Morde nicht angefangen, wäre sie heute noch Volksanwältin, die sich für die kleinen Sorgen der kleinen Leute einsetzen müsste. Aber dann war da dieser Mord - der dritte oder vierte muss es gewesen sein - bei dem sie die Interessen der Angehörigen vertrat. Und schon kurze Zeit darauf hatte sie sich so laut und unüberhörbar in die Medien katapultiert, dass nur noch eines möglich war: ihr ein politisches Amt zu geben. Sonst hätte es einen Massenaufstand gegeben. Eigentlich kann die Polizeichefin dem Mörder dankbar sein. Bei dem Gedanken prüft sie noch mal - denn das schlechte Gewissen beschleicht sie - ob das MiKo wirklich aus ist. Zum Glück - es blinkt gelb, also standby.
Auch wenn sie der Polizeichefin gesagt hat, dass alles in Ordnung ist - irgendwie ist sie heute unruhiger, unsicherer als sonst. Wenn eine Ratte vorbeihuscht, zuckt sie zusammen und wenn der Wind die letzten paar Büsche, die noch stehengeblieben sind, bewegt, läuft ihr eine Gänsehaut über den Rücken. Genauso war es in der Nacht, in der er das letzte Mal zugeschlagen hat. Das war am 2. des letzten Monats. Wer rechnet schon an einem 2. damit.
Sie hat nur ihrem Vater erzählt von diesem Gefühl, und er, der alte Ex-Bulle, der in seinem selbstgewählten Domizil auf Menorca sitzt, hat sie verstanden. Er hatte dafür nur eine Erklärung: Bulleninstinkt. Und dass sie ihrem Instinkt vertrauen solle - immer und bedingungslos. Das macht den heutigen abend nicht gerade angenehm für sie, denn heute ist es wieder da: das Gefühl, dass er zuschlagen wird. Zum Glück ist ihre Schicht bald vorüber und dann wird sie nach Hause gehen, die mittlerweile in allen Wohnungen vorgeschriebene Alarmanlage anstellen und sich in die heisse Badewanne legen - oder aber auch - und das ist die wahrscheinlichere Variante - dreckig wie sie ist ins Bett fallen. Eine Stunde noch, dann ist es so weit. (Forsetzung folgt)
Siouxsie - 3. Nov, 23:30